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#TZExpertise: Bioökonomie

„Wichtige Impulse für eine wettbewerbsfähige und klimaneutrale Industrie“

Potenziale der Bioökonomie für den Umbau zum nachhaltigen, zukunftsfähigen Wirtschaftssystem: #TZExpertise im Gespräch mit Dr. Marc Awenius, langjähriger Mitarbeiter der VDI Technologiezentrum GmbH und Leiter der Geschäftsstelle des Bioökonomierates der Bundesregierung. 

Herr Dr. Awenius, wie lässt sich Bioökonomie in wenigen Sätzen beschreiben? 

In einer breiter gefassten Definition bezeichnet „Bioökonomie“ jene Teile der Wirtschaft, die auf biologischen Ressourcen und/oder dem Wissen zu deren Nutzung basieren.  

Die Definition schließt die Erzeugung, Erschließung und Nutzung biologischer Ressourcen, Prozesse und Systeme ein. Es geht darum, Produkte, Verfahren und Dienstleistungen innerhalb eines zukunftsfähigen, ressourcenschonenden Wirtschaftssystems bereitzustellen. Unterschiedliche branchenspezifische, wissenschaftliche Hintergründe oder regionale Gegebenheiten, wie der Zugang zu bestimmten Ressourcen, können allerdings dazu führen, dass der Begriff „Bioökonomie“ in Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik nicht immer gleich ausgelegt und mit Leben gefüllt wird. Eine vermeintliche Diskrepanz, die der dritte Bioökonomierat in seinem ersten Arbeitspapier umfänglich beleuchtet. 

Was sind weitere Herausforderungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Bioökonomie? 

Oberstes Ziel der Bioökonomie ist es, Ökonomie und Ökologie unter einen Hut zu bringen, sie also für ein nachhaltiges Wirtschaften miteinander zu verbinden. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir uns in einem Spannungsfeld unterschiedlichster Disziplinen, Branchen und Akteurs- sowie Interessengruppen bewegen. Neben Chancen und Potenzialen kann diese Konstellation aber auch zu Zielkonflikten in der Umsetzung der Bioökonomie führen. 

Lassen Sie mich diese Herausforderung an einem Beispiel verdeutlichen: Die Ressource „Land“ soll die Ernährung der Bevölkerung sichern, Erhalt und Wiederherstellung der Biodiversität verfolgen, ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, nachhaltig Energie erzeugen, die Einkommensgrundlage für Bäuerinnen und Bauern sichern und die Industrie mit nachwachsenden Rohstoffen versorgen. Das Beispiel zeigt: Die unterschiedlichen Ziele – wie und für welche Aufgaben wir Land nutzen wollen – konkurrieren oftmals miteinander. Für eine erfolgreiche Umsetzung einer nachhaltigen Bioökonomie müssen daher ökologische, ökonomische und soziale Aspekte und Fragestellungen berücksichtigt sowie ausbalanciert werden.

Welchen Stellenwert hat die Bioökonomie in Deutschland? 

Deutschland war eines der ersten Länder, das schon 2010 eine eigene Bioökonomie-Strategie auf den Weg gebracht hat. Sie findet mit der aktuellen „Nationalen Bioökonomie-Strategie“ ihre Fortsetzung. Weltweit sind mittlerweile ca. 60 Länder mit eigenen Initiativen und Strategien zur Bioökonomie aktiv. Darunter sind auch Industriestaaten im pazifisch-asiatischen Raum oder in Nordamerika, mit denen Deutschland intensiven Handel betreibt.  

Das unterstreicht meines Erachtens auch, dass wir das Thema nicht nur unter Klima- und Umweltschutz-Aspekten betrachten sollten – obwohl es diesbezüglich aktueller denn je ist.  Bioökonomie ist eine Chance für unsere exportorientierte Wirtschaft. Nachhaltige innovative Produkte und neue Dienstleistungen aus diesem Bereich können Arbeitsplätze und Wohlstand von morgen in unserem Land sichern. 

Was ist der konkrete Nutzen der Bioökonomie?  

Die Bioökonomie zielt darauf ab, auch in postfossilen Zeiten weiterhin erfolgreich ökonomisch am Forschungs- und Industriestandort Deutschland sowie in der Europäischen Union wirtschaften zu können. Das gewinnt gerade in jüngster Zeit massiv an Bedeutung, wie die weltpolitische Lage zeigt. 

Die konkreten Beiträge der Bioökonomie sehe ich daher eng mit Fragen der Ressourcenverfügbarkeit, Ressourceneffizienz und der Einsparung von Treibhausgas-Emissionen verknüpft. In diesem Kontext ist insbesondere die Grundstoffindustrie zu nennen. Durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe und die Umstellung auf ein kreislaufgeführtes Wirtschaftssystem wird sie im besonderen Maße von der Bioökonomie profitieren. Ich bin überzeugt, dass die Bioökonomie nicht nur in diesem Bereich und seinen nachgeschalteten Wertschöpfungsschritten wichtige Impulse für eine wettbewerbsfähige und klimaneutrale Industrie leisten kann und wird.

Was ist zu tun, um den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen zu erhöhen? 

Aus meiner Sicht setzt eine Erweiterung der industriellen Ressourcenbasis um nachwachsende Rohstoffe voraus, dass diese in hinreichender Qualität und Quantität ohne negative Auswirkungen für Mensch und Natur bereitgestellt werden. Parallel gilt es, durch Verwendung von Rest- und Abfallstoffen weitere Ressourcenquellen für die Bioökonomie zu erschließen. Doch das ist nur ein Aspekt. Wir müssen auch die Skalierung von Verfahren und Prozessen für den industriellen Maßstab im Blick behalten. Länder wie etwa Finnland mit seiner holzbasierten Bioökonomie können hierfür sicherlich als Blaupause fungieren. Diese Skalierung ist übrigens eine Aufgabe, der wir uns seit 2022 als Projektträger im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz mit dem Förderprogramm „Industrielle Bioökonomie“ widmen. 

Wird das ausreichen, um unseren Ressourcenbedarf zu decken? 

Nachhaltige Bioökonomie muss heute weit mehr leisten, als ausreichend nachwachsende Rohstoffe bereitzustellen. Entscheidend ist, dass wir die kaskadenförmige stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen und Reststoffen im Sinne einer „Circular Bioeconomy“ umstellen. Hier gilt es auch, die richtigen Weichen zu stellen: Die stoffliche Nutzung sollte vor die energetische Nutzung gestellt werden. Neue Standards und Normen sind nötig, um lineare Wertschöpfungsketten zu sektoren- und branchenübergreifenden Wertschöpfungssystemen umzubauen. Die Digitalisierung sehe ich hier als einen wesentlichen Treiber hin zu integrierten und intelligenten Wertschöpfungsnetzwerken an.

Wie sehen Sie das Thema im VDI Technologiezentrum verortet? 

Um das Thema „Bioökonomie“ voranzubringen, müssen Technologie, Ökonomie und Ökologie gemeinsam gedacht werden und ineinandergreifen. Neben den bereits erwähnten Dienstleistungsaufträgen, wie der Geschäftsstelle des Bioökonomierats der Bundesregierung und der Projektträgerschaft „Industrielle Bioökonomie“, greifen wir auf unser Wissen aus langjährigen und neuen Aufträgen zurück, die für den Erfolg der „Bioökonomie“ relevant sind. Als Teil der starken Marke VDI arbeiten wir eng mit den Expertinnen und Experten des VDI e. V. sowie unseren Schwesterfirmen zusammen. 

Herr Dr. Awenius, wir danken Ihnen für das Gespräch. 

Hintergrund

Über den Interviewpartner

Dr. Marc Awenius ist Technologieberater bei der VDI Technologiezentrum GmbH und leitet seit Juni 2021 die Geschäftsstelle des Bioökonomierates. Als unabhängiges und neutrales Gremium berät der Rat die Bundesregierung bei der Umsetzung der Nationalen Bioökonomiestrategie.

Über #TZExpertise

Im Interview-Format #TZExpertise geben Expert*innen aus dem VDI Technologiezentrum regelmäßig exklusive Einblicke in ihre jeweiligen Fachbereiche sowie relevante Fragestellungen.

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